Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Forschung

Geistlicher Stand oder Sinekure? Die protestantischen Domherren vom Westfälischen Frieden bis zum Ende der Napoleonischen Ära (1648–1815)
(aktuelles Projekt, gefördert durch die DFG)

Das Fortbestehen protestantischer Domkapiteln im Norden des  Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vom Ende des  Dreißigjährigen Krieges bis in die napoleonische Ära hat bisher kaum  Aufmerksamkeit gefunden. In der Geschichtswissenschaft gelten die  evangelischen Domstifte dieser Epoche als bloße finanzielle  Versorgungseinrichtungen für nachgeborene Söhne adliger Familien.  Dieses Bild speist sich wesentlich aus einer von der Reformationszeit  geprägten Sicht auf geistliche Institutionen, in der die Domkapitel als  weitgehend irrelevantes Relikt einer vergangenen Epoche  erscheinen. Diese Betrachtung fußt allerdings kaum auf  Untersuchungen zu den protestantischen Domherren und blendet das Innenleben der Kapitel sowie die sozialen Gruppen aus, aus denen  sich die Inhaber der Dompräbenden rekrutierten. Ihre politischgesellschaftlichen Rolle bleibt gleichfalls weitgehend ausgespart. Mit  der Überlieferung der Domkapitel steht jedoch eine umfängliche  Quellengrundlage zur Verfügung, um einen detaillierten Einblick in  diese hoch exklusive ständische Institution und die dahinterstehenden sozialen Gruppen zu erlangen. Ziel der Arbeit ist es, die Stellung der  protestantischen Domherren in der frühneuzeitlichen  Ständegesellschaft erstmals grundlegend zu untersuchen und so eine Neubewertung der Rolle der evangelischen Domkapitel zu  ermöglichen. Das bisher in der Forschung etablierte Bild einer bloßen  monetären Zugewinnoption des Adels soll anhand der Erhebung des  sozialen Profils der Domherren, ihrer Vernetzungs-, Bildungs- und  Karrierewege sowie ihres Auftretens als Mitglieder der Domstifte überprüft und gegebenenfalls revidiert werden. Das Projekt  trägt zugleich zur Erforschung konfessionsübergreifender religiöser Praxis in der Frühneuzeit bei.

Autokratie oder konsensorientiertes Regiment? Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1758-1817) und seine Regierung aus dem Kabinett
(abgeschlossen, gefördert durch die DFG)

Suppliken gelten als das Medium zur direkten Kommunikation zwischen Untertanen und Herrscher in der Frühen Neuzeit. In ihren Bittgesuchen und Beschwerden transportierten einfache Menschen ihre Sorgen an die Obrigkeit, die durch den steten Fluss an gegebenen Informationen ein genaueres Bild von den Problemlagen innerhalb ihres Herrschaftsbereichs erhielt und dadurch zum Handeln gedrängt wurde. Mit den Kabinettsprotokollen des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1758–1817) liegt der Untersuchung eine einzigartige Quelle zur Erforschung von Bittgesuchen aus einem kleinen Reichsterritorium in der Sattelzeit zu Grunde. Von 1759 bis 1817 dokumentieren sie nahezu alle im fürstlichen Kabinett eingegangenen Suppliken und Berichte sowie die Entscheidungen des Herrschers (insgesamt ca. 102.000 Einträge). Sie ermöglichen damit einen detaillierten Blick auf das praktische Regierungshandeln eines Fürsten, der in der Forschung bis dato als Paradebeispiel eines aufgeklärten Reformers gilt. Die Arbeit eröffnet damit zugleich eine Perspektive auf eine bisher wenig erforschte Herrschaftspraxis, die mit dem frühneuzeitlichen Absolutismus in Verbindung steht: Die Regierung aus dem Kabinett.

Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, ist  vor allem bekannt als Bauherr des Wörlitzer Gartenreiches. Er gilt als  eines der Paradebeispiele des aufgeklärten Regenten des ausgehenden 18.  Jahrhunderts. Das Bild von seinem kulturellen, pädagogischen, sozialen  und ökonomischen Schaffen speist sich dabei vorrangig aus den Äußerungen  prominenter Zeitgenossen wie Winckelmann, Goethe oder Basedow. Es fußt  aber kaum auf der Untersuchung seines praktischen Regierungshandelns.  Dieser Herrschaftspraxis widmete sich das Projekt .

Ziel der Arbeit war es, anhand der Auswertung der Kabinettsprotokolle das  Regierungshandeln des Fürsten erstmals grundlegend zu untersuchen und  damit eine Neubewertung Leopold Friedrich Franz vorzunehmen. Das  bisher in der Forschung etablierte Bild des Landesherrn als aufgeklärter Reformer wurde anhand seiner Regierung aus dem Kabinett  kritisch überprüft. Das Projekt  trägt damit zugleich zur Untersuchung von Herrschaft als kommunikativem  Wechselverhältnis zwischen Landesherrn, Amtsträgern und Untertanen bei.  Die Kleinräumigkeit der politischen Verhältnisse und die damit  verbundene Möglichkeit größtenteils direkter Kommunikation der Untertanen mit dem Landesherrn ermöglichte außerdem zahlreiche Vergleichsmöglichkeiten zum Typus konsensgestützter Landesherrschaft im  Alten Reich.

Land ohne Herr – Fürst ohne Hof? Konstruktion eines Fürstenbilds: Friedrich August von Anhalt-Zerbst
und sein Fürstentum
(abgeschlossen, Dissertationsprojekt)

Friedrich August von Anhalt-Zerbst (1751–1793) gilt als das Paradebeispiel für die degenerierten Herrschaftsverhältnisse des späten Ancien Régimes. Die Geschichtsschreibung sieht ihn als unfähigen Landesherrn, Menschenhändler und Wahnsinnigen, der sein Land einem korrupten Geheimen Rat überließ. Das unrühmliche Ende dieser Erzählung fällt dabei mit der Auflösung des Fürstentums nach dem Tod des Fürsten in eins.

Aus dieser Perspektive geraten jedoch aufschlussreiche Aspekte seiner Herrschaft aus dem Blick: Als Bruder Katharinas II. von Russland (1762–1796) mit höchsten Kreisen der europäischen Fürstenelite aufs Engste verwandt, beherrschte er sein Fürstentum über fast 30 Jahre vom Ausland aus, ohne es auch nur ein Mal zu betreten. Zugleich gerierte sich der seit dem Siebenjährigen Krieg in beständiger Feindschaft zu Friedrich II. (1740–1786) lebende Fürst, trotz des traditionellen Klientelverhältnisses zwischen Anhalt und Preußen, als dezidiert kaisertreu.

Erstmals erfährt dieses Thema im vorliegenden Projekt eine historische Würdigung. Neben der Entstehung des etablierten Geschichtsbildes von Friedrich August und seinem Geheimratskollegium stehen dabei die Gründe für das negative Urteil der aufgeklärten Zeitgenossen, die gescheiterte Inszenierungsabsicht des letzten Zerbster Fürsten sowie die Rekonstruktion der Herrschaftsverhältnisse im Fokus.

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