Tagungen - Professur für Mittelalterliche Geschichte
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Call for Papers zur Tagung: Unsagbare Konflikte? Parteikonflikte und Konfliktkommunikation in Vormoderne und Moderne
Konflikte und Spannungen zwischen adligen oder städtischen Parteiungen, ‚Cabalen‘ und Hofparteien prägten vormoderne Herrschaftsstrukturen und Gesellschaften nachhaltig. Vergleichbare Gruppenbildungen finden sich aber auch in der Moderne - etwa als konkurrierende Seilschaften in Verwaltungen und Konzernen oder als ‚Strömungen‘ in politischen Parteien. Die internationale Forschung der letzten Jahre hat solche Parteiungen zumeist als ‚Faktionen‘bezeichnet, und wir folgen diesem Sprachgebrauch. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wie faktionale Konflikte in Vormoderne und Moderne kommuniziert werden. Tatsächlich müssen wir davon ausgehen, daß die Kohäsion größerer Konfliktgruppen im wesentlichen diskursiv begründet ist. In vielen Fällen werden Faktionen überhaupt erst in der Konfliktkommunikation als zusammengehörige, feste Gruppen konstruiert – von den beteiligten Konfliktakteuren, aber auch von der sie umgebenden Gesellschaft.
Die Untersuchung faktionaler Konfliktkommunikation, die im Zentrum der geplanten Tagung steht, ist alles andere als trivial. Dies hängt zum einen mit der semantischen Struktur faktionalen Konflikthandelns zusammen. Idealtypisch gesprochen, neigen Faktionen dazu, die eigene Parteilichkeit auszublenden: Sie verstehen sich je nach Setting als die allein „Rechtschaffenen“, als einzig legitime Ratgeber des Fürsten, als die „echten“ Eliten einer Stadt oder in späteren Jahrhunderten z. B. auch als Vertreter der grundlegenden, „nicht-sektiererischen“ Prinzipien der Mutterpartei. Faktionen sind insofern partikulare Strukturen, die ein problematisches Verhältnis zu ihrer eigenen Partikularität aufweisen – so unsere These. Die daraus resultierenden Spannungen prägen allenthalben die Konfliktkommunikation.
Zum anderen finden faktionale Auseinandersetzungen gerade in der Vormoderne oft in Settings statt, die die offene Thematisierung interner Konflikte nach Möglichkeit vermeiden, bisweilen sogar kriminalisieren. Selbstverständlich verhindern solche Tabus weder die Existenz von Parteiungen noch deren kommunikativen Ausdruck. Die skizzierten Sagbarkeitsbeschränkungen zwingen die Beteiligten aber dazu, ihre Kommunikationen zu verschlüsseln, was deren Untersuchung nicht unerheblich erschwert: Die Dechiffrierung kodierter Konfliktkommunikationen gelingt den Zeitgenossen leichter als der modernen Forschung.
Während der Tagung sollen die hier nur angerissenen Zusammenhänge näher exploriert werden. Im Zentrum steht dabei das Verhältnis der faktionalen Konfliktdiskurse zu den umgebenden Realitäten: Welche semantischen Strukturen weisen sie auf? Wie werden sie verbreitet? Wie beeinflussen sie die konkreten Konstellationen, in denen sie geäußert werden - und wie wirken die konkreten Anwendungskontexte auf die Diskursebene zurück?
Zentrale Fragestellungen
1. (Wie) bezeichnen sich die Faktionen selbst? In welchem Rahmen verorten sie die Konflikte, an denen sie beteiligt sind - wie kommunizieren sie, „worum es geht“? Greifen die Zeitgenossen die faktionalen Diskurse auf - oder entwickeln sie konkurrierende Beschreibungen?
2. Welche Auswirkung haben Kommunikationstabus auf faktionale Konfliktäußerungen? Anders gefragt: Wie machen die Zeitgenossen unsagbare Konflikte dennoch sagbar? Welche nicht-diskursiven Kommunikationsmöglichkeiten werden dazu ggf. genutzt? Auf welche kommunikativen Felder werden faktionale Konflikte ggf. ausgelagert?
3. Welche wechselseitigen Einflüsse bestehen zwischen Konfliktkommunikation und Konflikthandeln? Wir gehen allgemein davon aus, daß faktionale Diskurse den Konflikt kommunizieren, ihn aber nicht abbilden. Gleichwohl ist anzunehmen, daß Diskurse und Konfliktrealitäten je nach Setting in unterschiedlichem Verhältnis zueinander stehen und aufeinander wirken.
4. Lassen sich charakteristische Entwicklungen beobachten? Führt eine eventuelle Institutionalisierung von Faktionen zur Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen?
5. Sind vormoderne Faktionen stärker von Kommunikationstabus betroffen als moderne Beispiele? Oder ist die Ausprägung entsprechender Tabus stärker von konkreten historischen Konstellationen abhängig (man vergleiche etwa das Fraktionsverbot in der SED und anderen kommunistischen Parteien sowjetischer Prägung mit der expliziten Förderung innerparteilicher Strömungen in der PDS)?
Wir laden herzlich dazu ein, faktionale Konflikte und deren Kommunikation aus den genannten Perspektiven zu untersuchen oder diese kritisch zu erweitern. Mögliche Beiträge können sich u. a. beschäftigen mit
• der Dekonstruktion älterer Forschungsnarrative, die die Zeugnisse faktionaler Konfliktkommunikation entweder ignoriert oder allzu wörtlich gelesen haben;
• Zeugnissen bislang unbekannter oder wenig beachteter Parteikonflikte. Wir laden insbesondere dazu ein, neben Beispielen eskalierten Konflikts auch Zeiten latenter faktionaler Spannungen in den Blick zu nehmen, in denen die oben beschriebene Kommunikationsproblematik besonders große Bedeutung hat;
• künstlerischen Zeugnissen faktionaler Konfliktkommunikation. Wir freuen uns über Beiträge aus Literatur-, Kunst-, Musikwissenschaft, Wissensgeschichte und weiteren Disziplinen, die die jeweilige fachwissenschaftliche und die faktionenanalytische Perspektive verbinden;
• dem inner- oder interepochalen Vergleich faktionaler Konfliktkommunikation und ihrer semantischen Strukturen.
Die Tagung wird vom 18.-20. März 2026 in Halle (Saale) stattfinden. Konferenzsprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch. Reise- und Unterkunftskosten werden von den Veranstaltern getragen. Die Vorträge sollen etwa 30 Minuten dauern ; eine anschließende Veröffentlichung ist geplant.
Bitte senden Sie Vorschläge zusammen mit einem knappen Exposé (max. 1 Seite) bis zum 30. Juni 2025 an Georg Jostkleigrewe (georg.jostkleigrewe@geschichte.uni-halle.de) und Olivier Canteaut (olivier.canteaut@chartes.psl.eu).
Call for Papers: Unspeakable Conflicts? Factional Conflict and Conflict Communication in the Premodern and Modern Eras
Conflicts and tensions between noble or urban factions, “cabals” and court parties had a lasting impact on premodern structures of governance and society. However, similar patterns of group formation can also be observed in modern times – whether as competing networks in administrations and corporations or as “currents” within political parties. Recent international scholarship has generally referred to such groups as “factions”, and we adopt this terminology here. Of particular importance is the question of how factional conflicts have been communicated in both premodern and modern contexts. Indeed, we must assume that the cohesion of larger conflict groups is primarily constituted in discourse. In many cases, factions are constructed as coherent and stable groups only through conflict communication – both by the actors involved and by the surrounding society.
The study of factional conflict communication, which is the central focus of the planned conference, is far from trivial. This is partly due to the semantic structure of factional conflict. Ideally speaking, factions tend to obscure their own partiality: depending on the setting, they may perceive themselves as the sole “righteous” actors, the only legitimate advisors to the ruler, the “true” elites of a city or, in later centuries, as representatives of the fundamental “non-sectarian” principles of the parent party. In this sense, factions are particularistic structures that maintain a problematic relationship with their own particularity. The tensions arising from this dynamic fundamentally shape conflict communication.
Moreover, especially in the premodern era, factional disputes often occurred in settings where the open discussion of internal conflicts was avoided whenever possible and, in some cases, even criminalised. Naturally, such taboos did neither prevent the existence of factions nor their communicative expression. However, the restrictions on what could be openly articulated forced the actors involved to encode their communications, which significantly complicates scholarly analysis: contemporary observers were often better equipped to decipher coded conflict communications than modern researchers.
The conference aims to explore these interrelations in greater depth. At its core is the relationship of factional conflict discourses with their surrounding realities: What semantic structures do these discourses exhibit? How are they disseminated? How do they influence the specific constellations in which they are articulated – and how do the specific contexts of application, in turn, shape the discursive level?
Key Questions Include:
- (How) do factions refer to themselves? Within what framework do they situate the conflicts in which they are involved – how do they communicate “what it is about”? Do contemporary observers adopt factional discourses, or do they develop competing descriptions?
- What impact do communication taboos have on factional expressions of conflict? Put differently: how do contemporaries make unspeakable conflicts speakable? What non-discursive means of communication might be used for this purpose? To which communicative spheres are factional conflicts potentially displaced?
- What reciprocal influences exist between conflict communication and conflict action? We assume that factional discourses do not merely reflect conflict but actively construct and perform it. Nevertheless, it is likely that the relationship between discourse and conflict realities varies depending on the specific setting and that both levels mutually influence one another.
- Can characteristic developments be identified? Does the potential institutionalisation of factions lead to shifts in the boundaries of what can be articulated?
- Are premodern factions more affected by communication taboos than their modern counterparts? Or is the manifestation of such taboos more dependent on specific historical contexts? (For example, one might compare the prohibition of factions in the Socialist Unity Party of Germany (SED) and other Soviet-style communist parties with the explicit encouragement of intra-party currents in its post 1989 successor (PDS: Party of Democratic Socialism).
We warmly invite scholars to explore factional conflicts and their communication from the perspectives outlined above or to critically expand upon them. Possible contributions may address, among other topics:
- The deconstruction of older research narratives that have either ignored evidence of factional conflict communication or taken it too literally.
- Testimonies of previously unknown or underexamined factional conflicts. We particularly encourage studies that, in addition to cases of escalated conflict, also consider periods of latent factional tensions, where the communicative problematics described above are of particular significance.
- Artistic representations of factional conflict communication. We welcome contributions from literary studies, art history, musicology, the history of knowledge, and related disciplines that combine their respective disciplinary perspectives with factional analysis.
- Intra- or inter-epochal comparisons of factional conflict communication and its semantic structures.
The conference will take place from March 18-20, 2026 in Halle (Saale). Travel and accommodation costs will be covered by the organizers. Conference languages will be English, French and German. The presentations should last about 30 minutes; a subsequent publication is planned.
Please send proposals together with a brief synopsis (max. 1 page) to Georg Jostkleigrewe (georg.jostkleigrewe@geschichte.uni-halle.de) and Olivier Canteaut (olivier.canteaut@chartes.psl.eu) by June 30, 2025.