Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Hallesches Wappen

Weiteres

Login für Redakteure

Dissertation Nitschke

Thomas Nitschke: Hellerau im Spannungsverhältnis zwischen weltoffener Reformsiedlung und nationalistisch gesinnter Gemeinde
Die 1908 von den führenden Werkbundmitgliedern Karl Schmidt, Friedrich Naumann, Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius und Wolf Dohrn gegründete Gartenstadt Hellerau wurde in der bisherigen Forschung nur unter architektonischen, kunstgewerblichen und rhythmisch-pädagogischen Ansätzen wahrgenommen. Obwohl die Gartenstadt insbesondere in ihren jungen Jahren, d.h. im Zeitraum von 1908/09-1925, die genannten Bereiche mit außergewöhnlich erfolgreichen Projekten, wie z.B. die Verlegung der 1898 von Karl Schmidt gegründeten Deutschen Werkstätten nach Hellerau sowie die architektonische Gesamtkonzeption der Gartenstadt eindrucksvoll beweisen, bediente, reichen die genannten Ansätze zur Erklärung für die Gründung der Gartenstadt nicht aus. Hellerau war mehr als die erste errichtete gartenstädtische Siedlung in Deutschland. In dieser Reformsiedlung, in der die zum Naumann-Kreis gehörenden Gründungsväter die Ideen der von Friedrich Naumann um 1900 begründeten "neudeutschen Bewegung" deutschlandweit zum ersten Mal in die Realität umsetzten, vereinigten sich mit Architekten, Kunsthandwerkern, Künstlern, Pädagogen, Arbeitern und Angestellten Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten, denen die Suche nach alternativen Lebensentwürfen gemeinsam war. Grundlage für diese Suche waren die Ideen der Lebensreformbewegung, die im "jungen Hellerau" in unterschiedlichster Form ihren Ausdruck fanden. Höhepunkt dieser Entwicklung war die 1910/11 erfolgte Gründung der vom Genfer Rhythmikpädagogen Emil Jaques-Dalcroze geleiteten Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik, die mit ihren Festspielen von 1912 und 1913 Hellerau weltberühmt machte. Gleichzeitig gab es aber seit 1911 bzw. 1912 mit dem Umzug der völkischen Schriftsteller und Agitatoren Bruno Tanzmann und Ernst Krauss nach Hellerau eine völkische Gegenbewegung. Stand diese vor dem Ersten Weltkrieg noch auf wackligen Füssen, so erweiterte sich deren Einfluß nach dem Krieg durch die 1921 und 1924 von Bruno Tanzmann in Hellerau gegründeten völkischen Organisationen - der deutschen Bauernhochschulbewegung und der Artamanenbewegung - beträchtlich, ohne jedoch jemals den Einfluß zu erlangen, den sich zumindest Bruno Tanzmann, als die zentrale Persönlichkeit der völkischen Bewegung in Hellerau, erhoffte. Ziel dieser Arbeit wird sein - nach einer genauen Analyse der Gründungsmotive von Hellerau - die Genese der völkischen Bewegung in der Gartenstadt als Gegen- und Parallelbewegung zur Lebensreform nachzuzeichnen und deren versuchte Einflußnahme auf das gartenstädtische Leben zu beschreiben. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung wird sich dabei vor allem auf die ersten zwei Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts stützen, ohne die Vereinnahmung der völkischen Ideen durch die Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren zu vernachlässigen.

Zum Seitenanfang