Forschung
Übersicht
Reale Bodenrenten in Westfalen, 16. bis frühes 20. Jahrhundert
Projektleitung: Prof. Dr. Ulrich Pfister (Münster) / Prof. Dr. Georg Fertig (Halle)
In diesem im Januar 2010 begonnenen Forschungsprojekt soll ein Beitrag zur Agrarökonomie der Neuzeit geleistet werden. Das Vorhaben untersucht die langfristige Entwicklung der realen Bodenrente in Westfalen von ca. 1500 bis 1914. Basis dafür sind Zeitpachtverträge über einzelne Parzellen zwischen Gutsbetrieben und Bauern, die in langen Serien von Rechnungen westfälischer Gutskomplexe überliefert sind.
Erstes Ziel ist die Gewinnung einer Zeitreihe der realen Bodenrente in Westfalen zwischen dem 16. und dem frühen 20. Jahrhundert. Hauptsächliche Grundlage bilden Neuabschlüsse von Pachtverträgen zwischen Gutsbetrieben und Bauern. Die jeweiligen Pachtzinse werden als Marktpreise für den Einsatz des Produktionsfaktors Boden gewertet. Marktpreise wiederum spiegeln Produktivitätsfortschritt wider und können daher zu dessen Ermittlung verwendet werden. Um Inflationseffekte auszuschließen werden Preisreihen gängiger Agrarprodukte erhoben, auf deren Grundlage die Pachtzinse deflationiert werden.
In erster Linie auf dieser Datengrundlage verfolgt das Vorhaben als zweites Ziel die Erarbeitung von Antworten auf folgende Forschungsfragen:
(1) Es wird geprüft, ob es schon vor dem frühen 19. Jahrhundert im Agrarsektor einen nachhaltigen Produktivitätsfortschritt gab.
(2) Die Analyse des Verlaufs der Produktivitätsentwicklung im 19. Jahrhundert soll einerseits den zeitlichen Anschluss an Schätzungen des Volkseinkommens und der Agrarproduktivität herstellen, die für das spätere 19. Jahrhundert bereits vorliegen. Andererseits wird dank der erwartbar höheren Datendichte eine Isolierung der Wirkungen von institutionellem Wandel (Grundlastenablösung, Gemeinheitsteilungen, Separationen) agrartechnischem Fortschritt und Marktintegration auf die landwirtschaftliche Produktivität angestrebt.
(3) Die Bodenrente ist als wichtige Komponente sowohl des persönlichen als auch des Volkseinkommens zu untersuchen. Ergänzt um Daten zur langfristigen Entwicklung der Nutzfläche wird angestrebt, die funktionale Einkommensverteilung vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert auf der gesamtdeutschen Ebene präziser zu fassen.
(4) Schließlich sollen vertragstheoretische Gesichtspunkte der Vergabe von Pachtverträgen analysiert werden, um das institutionelle Umfeld von Pachtverträgen, das Pachtgegenstand und Pachthöhe beeinflussen kann, mit zu berücksichtigen. Die von Gutsherren zwischen den Alternativen Pacht vs. Eigenwirtschaft und Pachtvergabe an Freie vs. Eigenbehörige (Leibeigene) gewählten Lösungen sind dabei auf der Grundlage eines vertragstheoretischen Vergleichs zwischen Gutsbetrieb und bäuerlichem Familienbetrieb zu untersuchen. Empirisch gilt es vor allem den Zusammenhang von Vertragstyp und Nutzungsform der jeweiligen Parzelle sowie den Zusammenhang von Pachtbeziehungen und anderen Beziehungen (Eigenbehörigkeit als Verbindung von Grund- und Leibherrschaft; Meierrecht als Verwaltung eines im herrschaftlichen Eigentum stehenden Gutes durch persönlich freie Bauern) zu untersuchen.
Das Wachstum der sächsischen Landwirtschaft 1750 – 1880 (DFG-Projekt, Michael Kopsidis zusammen mit Ulrich Pfister und Georg Fertig, Universitäten Münster/Halle)
Das Projekt wird bearbeitet in Zusammenarbeit mit Georg Fertig (Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Halle-Wittenberg) und Ulrich Pfister (Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster).
Für das Projekt wurde von Ulrich Pfister und Michael Kopsidis ein gemeinsamer Sachmittelantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt. Dieser Antrag wurde am 10. März 2008 von der DFG bewilligt.
Sachsens Landwirtschaft galt im 18. und 19. Jahrhundert als die mit Abstand produktivste und fortschrittlichste in Deutschland. Ziel des Projektes ist die Analyse des Wachstums der sächsischen Landwirtschaft 1750-1880 durch die Schätzung von Produktionsfunktionen auf kleinräumig desaggregierter Basis. Das Wachstum des Agrarsektors in Sachsen in der fraglichen Zeit soll auf diese Weise in die Komponenten des wachsenden Faktoreinsatzes, der Veränderung regionaler Arbeitsteilung bzw. des Strukturwandels sowie des agrartechnischen Fortschritts zerlegt werden. Eine solche Analyse wird für den deutschsprachigen Raum erstmalig durchgeführt. Mit Blick auf die internationale Forschung beansprucht die Berücksichtigung des Strukturwandels bzw. der regionalen Arbeitsteilung einen theoretisch hoch relevanten Innovationsgehalt. Erstmals kommen hierbei Translog-Produktionsfunktionen in der Analyse neuzeitlicher Agrarentwicklungsprozesse zum Einsatz. Nur auf diesem Weg lässt sich untersuchen, ob in Sachsens Landwirtschaft ein krisenhaftes „Boserupsches Verarmungswachstum“ vorlag mit steigender Gesamterzeugung bei abnehmendem Pro-Kopf-Einkommen.
Auf kleinregionaler Ebene soll für den Untersuchungsraum die Struktur der lokalen Agrarproduktion mit der Entwicklung der lokalen Nachfrage verglichen werden. Dies erlaubt eine vertiefte Beschreibung der regionalen Arbeitsteilung sowie des Ausmaßes, mit dem die lokale Agrarproduktion auf steigende Nachfrage mit einer Ausweitung der Subsistenzproduktion reagiert hat. Dieser Arbeitsschritt leistet eine teilweise Erklärung des sächsischen Strukturwandels und stellt gleichzeitig eine Voraussetzung für den nächsten Arbeitsschritt dar.
Auf Basis monatlicher und jährlicher Getreidepreisreihen soll für zahlreiche sächsische Städte die Entwicklung der Marktintegration im untersuchten Zeitraum nachgezeichnet werden. In theoretischer Sicht stellt die Zunahme der Marktintegration die Haupterklärung für regionale Spezialisierung und daraus folgende Produktivitätsgewinne dar. Unter Rückgriff auf die anderen Projektergebnisse soll diese Hypothese überprüft werden. Bisher sind auch in der internationalen Forschung solche empirische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Marktintegration und Agrarwachstum kaum vorhanden. Die Anwendung ökonometrischer Verfahren, welche die Rolle von Transaktions- und Transportkosten in Prozessen der Preiseinanpassung berücksichtigen, stellt dabei in der (wirtschafts-)historischen Forschung eine Innovation dar.
Das Projekt dient auch dem Ziel, eine der führenden deutschen Wirtschaftsregionen wiederzuentdecken, deren historische Bedeutung im Zuge der gegenwärtigen strukturellen Krise Ostdeutschlands oft vergessen wird.