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Tagung: Tod des Soldaten

Tagung: Der Tod des Soldaten als demokratische Herausforderung. Ein internationaler Vergleich

geleitet von:
Manfred Hettling (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Jörg Echternkamp (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam)
(finanziert durch die Thyssen Stiftung)


Termin: 24.-26.10.2007
Ort: Wissenschaftszentrum Berlin

Veranstaltungsskizze

I. Das Problem. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hat 2006 angekündigt, ein "Ehrenmal" für Bundeswehrsoldaten zu errichten, die "in Ausübung ihres Dienstes" ums Leben kommen. Seit Gründung der Bundeswehr 1955 haben etwa 2600 Soldaten ihr Leben verloren, in den Auslandseinsätzen seit 1993 waren es bis heute knapp 70 Soldaten. Eine Findungskommission hat bei ausgewählten Künstlern Entwürfe eingeworben, Andreas Meck ging als Sieger aus diesem Wettbewerb hervor. Im Jahr 2008 soll das Denkmal auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums eingeweiht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Pläne für ein Denkmal werden bisher exklusiv vom Verteidigungsministerium betrieben, die Parteien und das Parlament sind außen vor gelassen worden. Den Zweck des geplanten Denkmals beschreibt Verteidigungsminister Jung folgendermaßen: "Gemeinsames Trauern und Gedenken" sollen den Angehörigen und "Kameraden" helfen, den Verlust zu verarbeiten. Darüber hinaus werde das Denkmal "persönliche Pflichterfüllung" und "treue(s) Dienen" würdigen. Es werde, so Jung, kein Sonderstatus für Soldaten beansprucht. Indem aber Qualitäten wie Dienst und Pflichterfüllung gewürdigt werden, wird der Soldat nicht als Bürger - als "Bürger in Uniform" dargestellt, sondern als Funktionsträger, dessen Tätigkeit mit einem besonderen persönlichen Einsatz verbunden sein kann. Den spezifisch politischen Auftrag des Soldaten hingegen und damit die Frage nach der politischen Legitimation kriegerischer Mittel soll das geplante Denkmal, folgt man Jungs Ankündigung, nicht zum Ausdruck bringen.


Man kann das geplante Denkmal als Abkehr von der bundesdeutschen Errungenschaft deuten, sich vom herkömmlichen militärischen Gefallenenkult zu distanzieren. Das hat sich seit 1945 in langwierigen und konfliktreichen Auseinandersetzungen gegen die Tradition des Militärischen und die Überhöhung soldatischen Opferkultes durchgesetzt. Man kann das umgekehrt als notwendige Normalisierung deuten, welche in dem Maße überfällig ist, wie deutsche Soldaten seit etwa fünfzehn Jahren im Rahmen internationaler Bündnisse und Verträge in Auslandseinsätze geschickt werden und neuartigen Risiken ausgesetzt sind. Zu erwarten und zu hoffen ist jedenfalls, daß sich hierüber eine intensive politische Diskussion entwickeln wird. Denn zu offensichtlich ist derzeit das politische Defizit. Weder findet eine politische Debatte über eine derart wichtige Frage staatspolitischer Symbolik und Legitimation statt. Noch wird versucht, den politischen Rahmen – den Wertbezug – des Einsatzes militärischer Gewalt zu formulieren. Darin aber liegt die eigentliche Herausforderung, der Verteidigungsminister Jung mit seiner Initiative bisher ausweicht: eine Symbolisierung der politischen Wertgrundlage für militärischen Einsatz. Die bundesdeutsche Diskussion hat sich in den letzten Jahren darauf beschränkt, die parlamentarische Zuständigkeit zu betonen; eine Verständigung über mögliche politische Grundsätze steht indes noch aus.


Die bundesdeutsche Erinnerungspolitik hat sich seit 1945 von nationalen Kontinuitätslinien entfernt. Die normative Distanzierung vom Nationalsozialismus, die grundlegend war für die Etablierung der demokratischen Ordnung nach 1945, hat auch eine Distanzierung von Traditionen befördert. Im Bereich des Gefallenengedenkens hat das dazu geführt, daß an die Soldaten der Wehrmacht (und der Reichswehr) an keinem zentralen Ort explizit erinnert wird - stünde das doch im Widerspruch zur demokratischen Abgrenzung von den politischen Werten, für die jene Soldaten gekämpft hatten. Die staatspolitische Symbolisierung der Bundesrepublik zielt in erster Linie auf die Erinnerung an die "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft", wie es seit 1965 im Gräbergesetz heißt. Die Neue Wache in der Gestaltung von 1993 verkörpert dieses bundesdeutsche Selbstverständnis exemplarisch.


Was aber geschieht mit Soldaten, die mittlerweile bei Auslandseinsätzen ums Leben kommen? In der Bundesrepublik behilft man sich bisher mit Ersatzlösungen. Drei Ebenen können hierbei unterschieden werden. Erstens die zivile Bestattung, zweitens die innermilitärische Erinnerung, drittens das staatspolitische Gedenken.


a) Beerdigung. Ganz gleich, ob die Bundeswehrangehörigen bei Unfällen in Deutschland oder im Auslandseinsatz ums Leben kommen: Die Toten der Bundeswehr werden privat, auf zivilen Friedhöfen, beerdigt. Die Dienststellen regeln die Präsenz des Militärs bei den Beerdigungen im eigenen Ermessen und entscheiden von Fall zu Fall. Hierbei steht gewissermaßen ein Baukasten verschiedener Elemente zur Verfügung, die bei der Bestattung auf dem zivilen Friedhof praktiziert werden können (z.B. Totengeleit, kleine Zeremonie am Grab, Ehrenformation). Die Beerdigung symbolisiert auch die Übergabe des Toten von der Institution Militär in den privaten Bereich der Familie.


b) Militärische Erinnerung. Die Ehrung der im Dienst der Bundeswehr zu Tode gekommenen Soldaten (früher vor allem bei Arbeitsunfällen, Flugzeugabstürzen etc., inzwischen in steigendem Maße bei Auslandseinsätzen) erfolgt nach Waffengattungen getrennt: für die Marine in Laboe, für die Luftwaffe in Fürstenfeldbruck, für das Heer in der Feste Ehrenbreitstein (Koblenz). In Ehrenbreitstein etwa wurde (als bundesdeutscher Ersatz für die nicht mehr zugängliche Neue Wache) das 1972 eingeweihte "Ehrenmal des Deutschen Heeres" anfangs "Den Toten des Deutschen Heeres 1914-1918 + 1939-1945 " gewidmet. Ende der achtziger Jahre wurde das Denkmal umgestaltet und dient seither "Den Toten des Deutschen Heeres" (somit auch den Toten der Bundeswehr) zur Erinnerung.
Indem der Bezug zu den Weltkriegen reduziert und das 'Eiserne Kreuz' bei der Neugestaltung als Symbol deutlich akzentuiert wurde, ergab sich eine Deutungsverschiebung. Der konkrete historische Bezug wurde schwächer, statt dessen akzentuierte das Denkmal die militärische Institution und ihre Tradition stärker. Ergänzt wurde das Ehrenmal bei der Umgestaltung durch einen kleinen, rechteckigen, fast grabsteinartigen Steinblock, mit der von oben lesbaren Aufschrift: "Den Heeressoldaten/der Bundeswehr, die für/Frieden, Recht und Freiheit/Ihr Leben ließe". Die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in die Ehrungspraxis war nur möglich, indem der explizite Bezug zur Wehrmacht verschwand und als Erinnerungsbezug ein nicht historisch spezifiziertes ‚Heer’ diente. Diese Kontinuitätsbekundung schien aber, so ist anzunehmen, fragwürdig. Deshalb müssen die Bundeswehrtoten noch gesondert repräsentiert werden. Das „Ehrenmal“ in Ehrenbreitstein versucht damit Kontinuität und Diskontinuität zugleich zu symbolisieren. In den Gedenkveranstaltungen und Reden am Volkstrauertag dominiert jedoch bis zur Gegenwart der Bezug zu den Weltkriegstoten eindeutig – in der Regel findet sich hier die bundesdeutsche Allgemeinformel der 'Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft'. Überzeugende Formen militärischen Gedenkens fehlen bis heute.


c) Staatspolitische Symbolisierung: Bemerkenswert ist, daß die Bundesrepublik über keine adäquaten politischen Symbolisierungen verfügt. Der "Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge" ist - als privater Verein, aber mit Unterstützung des Verteidigungsministeriums - nur für die deutschen Wehrmachtssoldaten zuständig. In der Nachkriegszeit standen die Toten der Weltkriege im Mittelpunkt der Wahrnehmung. Anfangs diente die Neue Wache, an die Weimarer Tradition anknüpfend, als Erinnerungsort. Nachdem die Neue Wache seit 1961 nicht mehr zugänglich war, wurde in der Bundesrepublik auf die Errichtung eines eigenen zentralen Denkmals verzichtet, um die nationale Teilung nicht symbolpolitisch zu akzeptieren. Die Neue Wache war in der Weimarer Republik entstanden als zentrales militärisches Ehrendenkmal, ist jedoch durch die Erinnerungspolitik der DDR bis 1989 und die Neugestaltung der neunziger Jahre 'besetzt' als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg; in ihr werden deshalb die gefallenen Soldaten nur peripher und beiläufig erinnert. Das Gedenkmotiv der Neuen Wache - "den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft" – spiegelt das deutlich wider. Die Gedenkformel der Neuen Wache findet sich auch in der militärischen Dienstvorschrift, die die Praxis bei Trauerfeiern regelt. Militärische Ehren können – bei Bestattungen oder am Volkstrauertag bzw. an Gedenktagen – erwiesen werden "als Ausdruck des Mitgefühls und der Ehrfurcht vor dem Tode" und "im Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft". Aktives militärisches Handeln ist darin nicht eingeschlossen. Deutlich wird das in der Bestimmung der beiden Personengruppen, denen militärische Ehren erwiesen werden können: einerseits den im und außer Dienst verstorbenen bzw. verunglückten Personen, andrerseits jene Zivilisten, die durch im Dienst befindliche Soldaten ums Leben gekommen sind. In Einsätzen durch Gewaltanwendung getötete Soldaten kennt die Dienstvorschrift nicht.


Für die Bundesrepublik Deutschland besteht damit ein zweifaches Problem - die geplante Tagung will dieses benennen und genauer bestimmen.


Erstens bestehen zwar zivile und innermilitärische Symbolformen und Ritualisierungen. Sowohl Angehörige als auch militärische Verbände greifen auf etablierte Trauer- und Erinnerungsformen zurück. Diese aber haben kaum Möglichkeiten, den gewaltsamen Tod zu thematisieren. Langfristig dürfte zu bezweifeln sein, ob eine militärische Institution wie die Bundeswehr auf derartige Rituale verzichten kann. Aus Gründen der inneren Akzeptanz und der Mobilisierung der Soldaten für gefährliche Einsätze wird die Bundeswehr zu einer Modifikation der bisherigen Praxis gezwungen sein. Zweitens - und politisch weit gewichtiger - fehlt der Bundesrepublik die Möglichkeit, kriegerischen Tod staatspolitisch zu symbolisieren und damit zu legitimieren. Spätestens wenn explizit Kampfeinsätze parlamentarisch diskutiert und beschlossen werden, wird diese Leerstelle zu einem eminenten politischen Problem werden. Denn wer Soldaten zu aktivem kriegerischem Handeln entsendet, kann die Gefallenen kaum als "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" erinnern.


Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt der Einsatz des Militärs im Ausland eine fundamentale Veränderung bundesdeutschen Selbstverständnisses dar. Denn seit ihrer Gründung 1955 war die Bundeswehr strikt auf die Aufgabe der Landesverteidigung ausgerichtet. Nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg war diese Beschränkung eine Bedingung sowohl für die Akzeptanz des Militärs in der bundesdeutschen Gesellschaft als auch für die Integration der Bundesrepublik in die europäische und westliche Staatengemeinschaft. Diese Konstellation hat sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt - was nicht zuletzt daran sichtbar wird, daß inzwischen aus dem westlichen Ausland eine Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen in Afghanistan immer lauter gefordert wird. Wenn inzwischen der Verteidigungsminister fordert, das Leitbild des "Kämpfers" wieder in das Selbstverständnis der Bundeswehr zu integrieren, verweist das auf die Veränderungen, die die Armee gegenwärtig erfährt. Die Denkmalspläne des Verteidigungsministeriums machen diese bisher nicht gelöste Spannung auf der symbolischen Ebene sichtbar - ohne sie als staatspolitische Herausforderung zu benennen und als gesellschaftliche Debatte in der Öffentlichkeit zu führen.
II. Tagungskonzept. Die Tagung nimmt diese politische Umbruchssituation zum Ausgangspunkt und fragt danach, wie verschiedene demokratische Staaten der Gegenwart Gedenken und Erinnerung an ihre militärischen Toten seit 1945 gestalten und welche Erinnerungsformen sich hierbei etabliert haben. Mit diesem strikt vergleichend konzipierten Zuschnitt soll die Frage bundesdeutscher Gedenkpolitik bewußt im internationalen Rahmen untersucht und nicht nur in Bezug zur besonderen deutschen Tradition der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus gesehen werden.


Das Spektrum der vergleichend zu untersuchenden Nationen läßt sich in drei Gruppen unterteilen:


1. Deutschland ist, wie auch Italien und Japan, eine Verlierernation des Zweiten Weltkriegs. Alle drei Staaten gehören zu den Hauptaggressoren des Krieges, alle drei sahen sich deshalb nach 1945 – in unterschiedlichem Ausmaß – vor die Aufgabe gestellt, eine Abkehr von nationalen Traditionen und gewohnten Kontinuitäten zu leisten. Die Integration dieser Länder in die demokratische Staatengemeinschaft war, insbesondere im Falle Deutschlands und Japans, an eine Distanzierung von militärischen Traditionen gebunden. Beide Länder haben spezifische Antworten auf diese Anforderung entwickelt. Deutschland reagierte nach außen unter anderem durch die gezielte Integration in Staaten- und Militärbündnisse, verbunden mit einer bewußten Zurückhaltung gegenüber militärischen Aktionen bis in die neunziger Jahre; nach innen durch den bewußten Primat der Politik gegenüber dem Militär und durch Reformkonzepte wie den "Bürger in Uniform". Japan, das viel weniger in regionale Bündnissysteme eingebunden ist, hat sein Militär nach 1945 zu "Selbstverteidigungsstreitkräften" gewandelt und den Pazifismus zur Staatsmaxime erhoben. In beiden Ländern ist dieser Nachkriegskonsens mittlerweile Veränderungen unterworfen. Italien konnte sich, unter Verweis auf die Resistenza, der eindeutigen Zuordnung als faschistische Eroberungsmacht vor 1945 in viel stärkerem Maße entziehen als die beiden anderen Verlierernationen.


Allen drei Ländern stellt sich dennoch seit 1945 die Frage, in welchem Maße ein politischer Totenkult (Reinhart Koselleck) überhaupt noch an nationale Traditionen anknüpfen kann? Insofern ist für jedes der drei Länder zu fragen, welche Erinnerungsformen es für militärische Toten der demokratischen Gegenwart gab und gibt, und in welchem Maße herkömmliche Formen (Semantik, Rituale, Symbole) bewahrt, verändert oder neugestaltet wurden.


2. In den westlichen Siegerstaaten der Weltkriege, vor allem den USA, Großbritannien und Frankreich, stellt 1945 dagegen keine Zäsur in der Thematisierung militärischen Sterbens dar. Vielmehr ließen sich durch den Sieg die gewohnten Traditionen des Totenkultes ungebrochen fortsetzen, ja bekräftigen. In den USA und Großbritannien ist das ganz deutlich ausgeprägt, wo das aus dem 19. Jahrhundert stammende herkömmliche Arsenal an Formen und Ritualen auch spätere kriegerische Erfahrungen integrieren konnte. Für die USA stellten jedoch der Vietnamkrieg und die Verarbeitung der Niederlage eine Herausforderung dar, welche zu neuen Deutungsmustern und neuen Formen der Repräsentation führte (Vietnam Memorial in Washington). In Frankreich dominierte lange die Erinnerung an die Resistance das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, dieses konnte jedoch in die Tradition des nationalen Gedenkens integriert werden.
Bei diesen Staaten verbinden sich jeweils eine nationalstaatliche Tradition der politischen Symbolik mit einer reichen Erfahrung kolonialer Kriege (was auch für andere europäische Staaten zutrifft, man denke nur an die Niederlande). Das wird nicht nur die Bereitschaft zu militärischem Handeln in der Gegenwart befördert, sondern auch Einfluß auf die Gefallenenerinnerung haben.
Deshalb dürfte ein kontrastierender Blick auf Staaten lohnen, die – wie etwa Australien – zwar zu den Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges gehören und in der Gegenwart intensiv an internationalen Kriegseinsätzen beteiligt waren und sind, die jedoch nicht bzw. nur begrenzt über imperiale Traditionen verfügen.


3. Drittens schließlich soll ein vergleichender Blick auf europäische Staaten gerichtet werden, die sich auf der Grundlage unterschiedlicher historischer Erfahrungen der Herausforderung eines politischen Totenkultes in der Gegenwart stellen müssen. Osteuropäische Länder wie Polen, die auf eine reiche nationale Tradition zurückblicken können, bemühen sich seit 1989 intensiv um ihre Akzeptanz als Nationalstaat in der westlichen Staatengemeinschaft und unterstützen deshalb bewußt die Teilnahme an militärischen Auslandseinsätzen unter demokratischen Vorzeichen. Von einer lang zurückreichenden kolonialen Grundlage aus beteiligen sich etwa die Niederlande oder auch Dänemark an Auslandseinsätzen. Ähnliches trifft auch auf Spanien zu, wo jedoch nationale Erinnerungsformen in besonderem Maße durch den Bürgerkrieg, die Franco-Diktatur und die demokratische Neugestaltung seit 1975 beeinflußt wurden. Die Schweiz hat den waffentragenden Bürger seit dem 19. Jahrhundert als Fundament der wehrhaften Republik konzipiert und – ohne kriegerische Erfahrungen seit zwei Jahrhunderten – Demokratie und Wehrhaftigkeit eng verbunden.


Zwei Leitfragen stehen im Mittelpunkt:


Erstens: Welche historischen Traditionen stehen für die Deutung des soldatischen Sterbens zur Verfügung? Für die einzelnen Länder liegen hierzu bereits Studien vor, die zeitlich einen deutlichen Schwerpunkt in der Beschäftigung mit dem 19. Jahrhundert und der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg haben. Welche historischen Deutungen sind im nationalen Rahmen vorhanden und gewissermaßen abrufbar? Welche historischen Deutungen versagen vor gegenwärtigen Herausforderungen?


Zweitens: Welche Formen, welche Symbolisierungen, welche Praktiken stehen in den verschiedenen Gesellschaften in der Thematisierung des gegenwärtigen militärischen Todes im Vordergrund?


Zeitlich konzentrieren sich die Beiträge hierbei auf Entwicklungen von 1945 bis zur Gegenwart. Wie wurde und wird in der Öffentlichkeit der einzelnen Länder auf den Tod von Soldaten reagiert? Dabei wird nicht die Frage der politischen Rechtfertigung einzelner militärischer Auslandseinsätzen diskutiert, sondern jeweils nach den Legitimationsmöglichkeiten für den Soldatentod und nach der rituellen und symbolischen Gestaltung gefragt. Der Ausgangspunkt liegt in dem - bekannten - Befund der historischen Forschung, daß der gewaltsame Tod in der Neuzeit politische Handlungseinheiten legitimiert. Diese Rechtfertigung ist politisch offen; ganz unterschiedliche politische Weltanschauungen haben Formen des politischen Totenkults entwickelt. Indem hier nur demokratische Staaten vergleichend nach ihrem Totenkult befragt werden, kann die Tagung problematisieren, ob und inwiefern sich Gemeinsamkeiten in der Repräsentation des toten Soldaten jenseits nationaler Unterschiede entwickelt haben.


In der Forschung ist betont worden, daß sich im 20. Jahrhundert generell eine Verschiebung der Deutungsangebote der Denkmäler vollzogen hat. Von sinnstiftenden Aussagen der Denkmale habe eine Verlagerung hin zu sinnsuchenden Botschaften stattgefunden (Koselleck). Diese Umdeutung ist eng verbunden mit der inzwischen viel deutlicher akzentuierten Thematisierung der Opfer. In unterschiedlichen Kontexten spricht man von einer – international zu beobachtenden – 'Victimisierung' der öffentlichen Debatten über Krieg und Gewalt. In Deutschland hat das unter anderem seinen Niederschlag in der bekannten Gedenkformel der "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft seinen Niederschlag" gefunden. Deshalb wird auch zu fragen sein, ob die Hinwendung zu sinnsuchenden Denkmälern und Erinnerungsformen in der jüngeren Gegenwart weiter anhält.


Damit stellt sich auch die Frage, in welchem Maße der Begriff des 'aktiven' Opfers (sacrifice) im Zusammenhang mit Krieg und Gewalt erneut Verwendung finden wird. Die deutsche Erinnerungskultur hat eindeutig und entschieden den Begriff des 'passiven' Opfers (victim) in den Mittelpunkt gestellt. Der Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus habe das traditionelle Verständnis des Opfers für das Vaterland (pro patria mori) nach 1945 zu recht diskreditiert. Einerseits wird daher auf der Tagung darüber zu reden sein, wie andere demokratische Staaten mit dieser Spannung umgehen, welche Antworten sie auf die Rechtfertigung soldatischen Tötens und Sterbens heute geben. Und andrerseits soll diskutiert werden, ob und in welchem Maße genuin 'demokratische' Rechtfertigungen des Soldatentodes bestehen und wie diese in unterschiedlichen Ländern aussehen.


Vor diesem international vergleichenden Hintergrund soll in einem zweiten Teil der Tagung die Entwicklung in der Bundesrepublik diskutiert werden. Welche Konflikte entstanden durch Versuche, an die Wehrmachtssoldaten in der Bundesrepublik zu erinnern, welche Denkmalsformen haben sich in der Bundeswehr entwickelt? Sodann sollen die aktuellen Pläne eines Denkmals für die ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten diskutiert werden, nicht zuletzt im Kontext der Berliner Denkmalslandschaft, die in den letzten zwanzig Jahren durch verschiedene Monumentalisierungen zu einem komplexen und ausdifferenzierten Erinnerungstableau wurde. Dabei soll diskutiert werden, welche ästhetischen Möglichkeiten und historischen Beispiele es gibt, demokratische Werte zu symbolisieren. Auf dieser Grundlage können dann die Pläne für das aktuell geplante "Ehrenmal" sowohl historisch und international vergleichend als auch im Zusammenhang der Entwicklung einer spezifisch bundesdeutschen staatspolitischen Symbolik diskutiert werden.

Programm

Termin: 24.-26.10.2007
Ort: Wissenschaftszentrum Berlin


24.10.2007, Mittwoch


13.45-14.00 Begrüßung durch die Veranstalter


14.00-14.30 Einführung
Manfred Hettling, Prof. Dr. (Halle)
Politischer Totenkult im Vergleich


14.30-18.00 I. Europäische Erinnerungsvielfalt


Moderation: Sabine Mannitz, Dr. (Frankfurt)
a) Georg Kreis, Prof. Dr. (Basel)
Pro patria mori - Totenkult im republikanischen Schweizerland 18.-20. Jh.
b) Kjeld Galster, Dr. (Kopenhagen)
Tradierungen des Krieges und Ehrungen der Soldaten - Dänemark
c) Joanna Wawrzyniak, Dr. (Warschau)
Representations of the soldiers death in Poland before and after 1989
d) Karsten Humlebaek (Kopenhagen)
Commemorating dead soldiers in 20th century Spain
19.00-20.00 Abendvortrag
Herfried Münkler, Prof. Dr. (Berlin), Krieg und politische Legitimation


25.10.2007, Donnerstag


9.00-12.30 II. Sieger des Zweiten Weltkriegs


Moderation: Jörg Echternkamp, Dr. (Potsdam)
a) Stefan Goebel (Kent)
Bruchhafte Kontinuität: Kriegsgedenken in Großbritannien im 20. Jahrhundert
b) NN
Frankreich
c) Michael Geyer, Prof. Dr. (Chicago)
Coming Home to USA: Funerals and Parades, Memories and Monuments
d) Joan Beaumont, Prof. Dr. (Deakin)
Australien
e) Piet Kamphuis, Dr. (Den Haag)
"Damit wir nicht vergessen". Kriegsdenkmäler und Gedenkkultur in den Niederlanden nach dem Jahr 1945
14.00-16.30 III. Verlierer des Zweiten Weltkriegs


Moderation: Hans-Ulrich Thamer, Prof. Dr. (Münster)
a) Tino Schölz (Halle)
Die Gefallenen beschwichtigen und ihre Taten rühmen. Militärischer Totenkult in Japan
b) Michele Nani, Dr. (Padua)


Historische Traditionen und aktuelle Tendenzen in Italien.
c) Jörg Echternkamp, Dr. (Potsdam), Die Toten der Wehrmacht - Erinnerungskonflikte in der Bundesrepublik
17.00-18.30 IV. Die Berliner Denkmalslandschaft
a) Stefanie Endlich, Prof. Dr. (Berlin), Orte des Gedenkens in Berlin - Nationale und dezentrale Formen der Erinnerung
b) Günter Schlusche, Dr. (Berlin), Das vorgesehene "Ehrenmal" und andere zeitgenössische Denkmäler als städtebauliche Herausforderung


26.10.2007, Freitag


9.00-13.00 IV. Das geplante "Ehrenmal" in Berlin


Moderation: Manfred Hettling, Prof. Dr. (Halle)
a) Wolfgang Schmidt, Dr. (Potsdam), Die Toten der Bundeswehr: säkulares Ritual und sakrales Gedenken
b) Ulrich Schlie, Dr. (Berlin), Das "Ehrenmal der Bundeswehr" in Berlin
c) Andreas Meck (München) (angefragt)


Das "Ehrenmal" der Bundeswehr - ästhetische Konzeption
d) Hans-Ernst Mittig, Prof. Dr. (Berlin), Sind demokratische Werte monumental repräsentierbar?
e) Reinhard Rürup, Prof. Dr. (Berlin), Kommentar

Kontakt:
Manfred Hettling, Prof. Dr.
Institut für Geschichte, Uni Halle, Hoher Weg 4, 06120 Halle


Anmeldung:

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