Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Lehre

Sommersemester 2023

Bürokratie und Bürokratiekritik im 19. Jahrhundert
Typ: Seminar BA-VM
Zeit: Donnerstag 12:00-14:00
Bürokratie ist ein Unwort nicht erst der Gegenwart. Als Polemik gegen die ‚Herrschaft der Schreibtische‘, gegen Formalismus und Entfremdung vom alltäglichen Leben und Handeln ist der Begriff nämlich schon im Frankreich des 18. Jahrhunderts aufgekommen und hat seitdem die Ausbildung der modernen Rechts- und Verwaltungsstaaten in Europa begleitet. Denn zwar war und ist Verwaltung (seit Max Webers klassischer Formulierung) die wohl rationalste Organisation von Herrschaft im Alltag, durch die staatliches Handeln effizient, berechenbar und für den Einzelnen auch sicherer geworden ist – gleichzeitig aber stieg mit ihr auch die Kontrolle des Einzelnen, waren die Schattenseiten von Rationalisierung und Standardisierung ihrer positiven Charakterisierung selbst bei Weber immer beigemischt.
Während sich nun die Verwaltungsgeschichte lange an diesen Ambivalenzen der Rationalität und den Wegen der Verwaltung in die Moderne wie in den Holocaust abgearbeitet hat, verschob sich unter dem Eindruck der ‚cultural turn‘ der Fokus auch auf die Verwaltung: statt ihre Eigenart in institutionalisierter Zweckrationalität zu sehen wird sie als bürokratisches Feld, Netzwerk oder System betrachtet und ihre unvergleichliche Stabilität und sprichwörtliche Veränderungsresistenz gerade in ihrer Multifunktionalität und je spezifischer Verwaltungskultur gesucht.
Solchen unterschiedlichen Kulturen der Verwaltung ebenso wie der Kritik an ihnen wird das Seminar nachgehen. Nach einer theoriegeschichtlichen Einführung werden wir einige nationale und regionale Wege der Institutionalisierung von Verwaltung und ihren Kulturen untersuchen. Wir werden uns die Veränderungen in der Persona des Beamten ansehen, werden die symbolische, kommunikative und materiale Praxis in Amtsstube und Büro untersuchen und sie schließlich in Beziehung setzen zu Kritiken aus Liberalismus, Literatur und Kunst.

Literaturempfehlung:
Wolfgang Seibel: Verwaltung verstehen. Eine theoriegeschichtliche Einführung, Frankfurt/M. 2016.
Peter Becker: Art. Bürokratie, in: Docupedia-Zeitgeschichte (30.08.2016)
http://docupedia.de/zg/Becker_buerokratie_v1_de_2016   

Modulleistung: Ihre Modulleistung besteht je nach Studiengang in einer Hausarbeit oder einer mündlichen Prüfung.

Studienleistung: regelmäßige aktive Mitarbeit und in der Übernahme eines Vortrages/einer thematischen Einführung
Graecomanie
Typ: MA-MI
Zeit: Donnerstag 16:00 - 18:00
1935 veröffentlichte die englische Germanistin Eliza Maria Butler ein vielbeachtetes Buch, in dem sie die geistesgeschichtlichen Wurzeln der sich gerade etablierenden NS-Diktatur bloßlegen wollte. Es trug den Titel: „The Tyranny of Greece over Germany“ und war eine zwar nicht immer faire, dafür aber entschiedene Abrechnung mit den Griechen als spezifischem Objekt deutscher Selbstbespiegelung. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts hätten die Deutschen, so Butlers Vorwurf, aufgrund ihrer Unfähigkeit zu objektiver und distanzierter Betrachtung der griechischen Kultur eine geradezu mythomanische Besessenheit vom antiken Griechenland entwickelt. Anders als Franzosen oder Engländer, die sich in der „Querelles des Anciens et des Modernes“ wenigstens zum Teil vom Altertum lösen und so ein Bewußtsein von der eigenen Modernität und Identität entwickeln konnten, habe man das „Griechentum“ in Deutschland ganz ergreifen und exklusiv besitzen wollen und daher auch sklavischer nachgeahmt als irgendein anderes Volk in Europa. Das Ergebnis dieser eigentlich aus Unzufriedenheit mit dem eigenen Selbstbild gespeisten Besessenheit sei schließlich, so Butler, die „abnorme Bahn“ gewesen, die der deutsche Geist dadurch eingeschlagen habe und die vielfach zu exzentrischen, destruktiven, ja zuletzt gefährlichen Resultaten führte.
Die Deutung Butlers war, wie diese später selbst einräumen wird, im Einzelnen vielfach überzeichnet und polemisch verzerrt. Dennoch berührte sie mit der eigentümlich deutschen „Besessenheit“ von den Griechen, ihrer „Graecomanie“ also, einen zentralen Aspekt kultureller und politischer Identitätsbildung, der der „Gallophobie“, also der Abgrenzung gegenüber Frankreich kaum nachstand, zumal beides über die sog. „Griechen-Römer-Antithese“ argumentativ oft noch verschränkt wurde.
Im Seminar wollen wir Bezugnahmen und Argumente dieser Art gemeinsam auflösen, wollen die Kontexte deutscher Griechenrezeption vom 18. bis ins 20. Jahrhundert klären und den Veränderungen des Griechenbildes nachgehen.
Themen des Seminars werden u.a. sein: Die „Querelles des Anciens et des Modernes“ und ihre Rezeption in Deutschland bei Winckelmann u.a.; Humboldt und Schillers ‚Grille‘ von der Ähnlichkeit zwischen Deutschen und Griechen; Franz Passow und das „Archiv Deutscher Nationalbildung“; Wilhelm Herbst und Ludwig Curtius: Altertumswissenschaften in der Defensive; Die Griechen im Schulkrieg des Kaiserreichs; Neohumanismus und die Suche nach einer anderen Antike; Die Griechen in Krieg und Revolution; Werner Jaegers ‚erneuerter‘ Humanismus als Elitenprojekt; Oskar Benda, Ernst Howald und Hans Kelsen: Die Kritik von außen; Dritter Humanismus und Drittes Reich; E.M. Butler und das Ende der Tyrannei.

Literaturempfehlung:
Suzanne L. Marchand, Down from Olympus. Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750-1970, Princeton 1996
Richard Pohle: Das Deutschland des Altertums. Nationale Identitätsbildung durch die Griechen, in: Discussions 1 (2008) – Das Andere im 19. Jahrhundert / L'autre au XIXe siècle, http://www.perspectivia.net/publikationen/discussions/1-2008/pohle_deutschland   
Esther Sophia Sünderhauf, Griechensehnsucht und Kulturkritik. Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840-1945, Berlin 2004

Modulleistung: Als Modulleistung schreiben Sie eine Hausarbeit.

Studienleistung: Ihre Studienleistungen bestehen in der regelmäßigen aktiven Mitarbeit und in einem Vortrag (Aufbereitung, Kontextualisierung und Diskussion einer Quelle).

Bisherige Veranstaltungen

WS 2022/23

  • Konfession und Revolution - Kirchen, Konfessionen und Protest 1848 (BA-VM)
  • Restauration und Vormärz (BA-EM)

SS 2022

  • Die Franckeschen Stiftungen im 19. Jahrhundert (Quellen zur Bildungs- und Verwaltungsgeschichte) (Ü)
  • Hans-Georg Gadamer und die Geschichtswissenschaft (T)

WS 2021/22

  • Wissens- und Wissenschaftsgeschichte (T)

SS 2021

  • Die Debatte um Max Webers „Wissenschaft als Beruf“ (T)
  • Hauslehrer und akademisches Proletariat (Ü)

WS 2020/21

  • Philhellenismus (BM+Ü)

SS 2020

  • Hermes und Klio - oder: Was heißt es, etwas historisch zu verstehen? (T)
  • Das Evangelische Pfarrhaus (PS)

WS 2019/20

  • Religion, Nation und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (PS)
  • Max Webers Schlüsseltexte zur Religion (TS)

SS 2019 (Universität Rostock)

  • Platon als Erzieher (S)

SS 2018 (Universität Erfurt)

  • Geschichte des lateinischen Christentums. Eine Einführung (V)
  • Sozial- und Kulturgeschichte des ev. Pfarrhauses (HS)
  • Examenskolloquium Lateinisches Christentum (Koll)

WS 2017/18 (Universität Erfurt)

  • Pfarrer und Pastoren – Eine sozial- und konfessionsgeschichtliche Annäherung (PS)
  • Nation und Religion in Europa im 19. Jahrhundert (HS)
  • Examenskolloquium Lateinisches Christentum (Koll)

WS 2016/17

  • Generationsentwürfe im 20. Jahrhundert (PS)
  • Propheten, Helden, Führer – Die Wiederentdeckung des Vorbildes zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus (HS)

SS 2016

  • Einführung in die Wissenschaftsgeschichte (TS)
  • Hofmeister, Hauslehrer, Taxifahrer – Annäherungen an das akademische Proletariat im 19. Jahrhundert (S)

WS 2015/16

  • Humanismusdebatten zwischen Kaiserreich und NS (S)
  • Das deutsche Kaiserreich (PS)

SS 2015

  • Max Weber – Lesen! (TS)
  • Staatsbildung. Bildung, Erziehung und Preußische Reformen (PS)

WS 2014/15

  • Intellektuellenassoziationen (S)
  • Grundkurs Geschichte (GK)

SS 2010

  • Bürgerliche Werte (PS)

WS 2009/10

  • Politische Romantik (S)

WS 2008/09

  • Hermeneutik (TS)

SS 2008

  • Nation und Nationalismus in Deutschland (PS)

WS 2007/08

  • Weimar und seine Krisen (PS)

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